Schlössle Dettingen
Dettingen an der Erms, Landkreis Reutlingen
Im über 500 Jahre alten Dettinger Schlössle sitzt heute das Rathaus. Graf Eberhard im Bart ließ es von 1502 bis 1504 als Stiftsgebäude der „Brüder vom gemeinsamen Leben“ errichten. Nach deren Auflösung wurde es als württembergisches Lehen von verschiedenen Adligen bewohnt, unter anderem von Susanne von Grafeneck, verheiratete Zillenhart. Es ist möglich, dass der Dettinger Spitzname „Geißköpf“ auf sie zurückgeht. Im 19. Jahrhundert diente das Gebäude als Wagenfabrik, bevor es Ende des Jahrhunderts von der Gemeinde gekauft und als Schulgebäude genutzt wurde.
(Miriam Kroiher)
Im Jahr 1482 errichtete Graf Eberhard im Bart in Dettingen einen Stift für die Brüder vom gemeinsamen Leben, deren Mitglieder eine innerkirchliche Reform der Missstände sowie ein frommes Leben in Gemeinschaft, aber ohne klösterlichen Zwang, verfolgten. Für die Bruderschaft wurde an der Kirche der Chor mit den beiden flankierenden Kapellen errichtet sowie von 1502 bis 1504 das „Schlössle“ als Stiftsgebäude südlich von der Kirche erbaut. Baumeister waren der herzogliche Oberwerkmeister Peter Steinmetz von Koblenz. Da Bildung den Brüdern vom gemeinsamen Leben als hohes Ideal galt, war das Gebäude vielleicht als Bildungsstätte gedacht - eine Art parallele Einrichtung zu den geläufigen Klosterschulen. Doch schon 1517 wurde die Bruderschaft aufgelöst, damals saßen in Dettingen nur vier Stiftsherren.
Nach der Auflösung ging der Stift wieder in württembergische Hände über. Die genaue Nutzung in den ersten Jahren nach 1517 ist ungewiss: Eventuell diente das ehemalige Stiftsgebäude als Sitz der Forstknechte oder auch als Wohnsitz der Familie Bernhard Göler von Ravensburg, der in der württembergischen Regierung tätig war. 1551 erhielt dann der Uracher Obervogt Claus von Grafeneck das Schloss als Lehen. Da er keine Söhne hatte, erbte seine älteste Tochter Susanne von Zillenhart das Lehen. Diese war verheiratet, lebte jedoch von ihrem Mann getrennt, ohne geschieden zu sein. Ab 1575 bis zu ihrem Tod 1596 wohnte sie im Schlössle, anfangs gemeinsam mit ihrer Tochter Margarete. Im Dorf war die fromm evangelische Frau von Zillenhart hoch angesehen. Sie kümmerte sich um die armen und kinderreichen Familien und war häufig Patin in Dettingen. Auch bei Herzog Friedrich war sie sehr angesehen. Im Zillenharter Wappen ist ein halber Steinbock zu sehen, daher geht eventuell der Dorfspitzname „Geißkopf“ auf sie zurück. Auch sonst lebt die Erinnerung im Dorf an sie bis heute weiter: im Bürgerhaus am Anger ist ein Saal nach ihr benannt, ebenso in der Uhlandschule.
Nach dem Ableben Susannes erbte die Tochter Margarete das Lehen, die es wiederum nach ihrem eigenen Tod 1627 an ihren Sohn Christoph von Degenfeld vererbte. Gut zweihundert Jahre blieb das Schlössle in Besitz der Grafen von Degenfeld in Eybach bei Geislingen. Im Dreißigjährigen Krieg (1618-1648) litt der Ort stark und konnte sich über ein Jahrhundert nicht von den Schäden erholen. Erst um 1800 startete ein langsames Wiederaufblühen, das dazu führte, dass Dettingen um 1830 zu den reichsten Dörfern in Württemberg gehörte. In diese Zeit fiel auch der Verkauf des Schlössle an Adam Daumüller, der eine Wagenfabrik im Gebäude einrichtete - die erste Fabrik Dettingens! Aufgrund der englischen Weberkonkurrenz geriet Dettingen um 1840 erneut in die Krise. Daumüller verkaufte das Gebäude an den Kaufmann Friedrich Hönniger. Ab den 1860er Jahren erholte sich der Ort wieder, vermehrt siedelten sich Fabriken an.
Am 19. September 1889 kaufte die Gemeinde das Schlössle für 27.000 Mark und funktionierte es als Schulgebäude um. Neben den Klassenräumen fanden hier auch Unterkünfte für die Lehrkräfte und ihre Familien Platz. 1901 zog der Hauptlehrer Jakob Schaich mit seiner Familie nach Dettingen, ab 1908 stand ihm eine Dienstwohnung im Schlössle Süd zur Verfügung. Seine Tochter, die berühmte Schriftstellerin und Pazifisten Anna Haag, heiratete 1909 den späteren Mathematik- und Philosophieprofessor Albert Haag. Gemeinsam lebten sie in Schlesien, Pommern sowie Rumänien und England, wo ihr Ehemann als Lehrer an Auslandsschulen tätig war. Anna Haag entwickelte sich aufgrund dieser Erfahrungen zu einer weltoffenen Person, die sich für das Frauenrecht und die Friedensarbeit einsetzte. Ihre schriftstellerischen Werke, die in Teilen autobiographische Züge trugen, fanden weiten Anklang. Ihr zu Ehren ist das Trau- und Fraktionszimmer im Schlössle Anna-Haag-Raum genannt.
1934 befasste sich der Ortsschulrat mit dem baulichen Zustand des Gebäudes, das im davorliegenden Jahrzehnt stark vernachlässigt worden war. Sieben Schäden wurden detailliert aufgezählt, eine Renovierung wurde als notwendig erachtet. Allerdings fehlten die Mittel hierzu, sodass die Renovierung auf unbestimmte Zeit verschoben werden musste. Am 7. Oktober 1937 meldete der Schulleiter Rektor Eckle seiner vorgesetzten Behörde die Absicht, das Rathaus ins Schlössle zu verlegen. Das bisherige Rathaus sollte auf Wunsch der örtlichen NSDAP-Gruppierungen in ein Parteiheim umgewandelt werden, die Schulräume vom Schlössle in das alte Schulhaus, die Hindenburgschule, wandern. Zu diesem Zeitpunkt waren im Schlössle neben drei geräumigen Klassenzimmern auch zwei Lehrerdienstwohnungen und ein Dienstwohnzimmer für eine weitere Lehrkraft untergebracht. Eine Besprechung am 18. Oktober 1937 ergab, dass die Schule durch den Tausch 70 bis 80 Quadratmeter verlöre, die Ersatzklassenzimmer in der Hindenburgschule in schlechten Zustand seien und zudem aufgrund ihrer Lage an der Hauptstraße sowie in nächster Nähe zu zwei Kindergärten mit einer hohen Geräuschkulisse verbunden waren. Des Weiteren fehlten der Schule ohnehin schon ein Zeichensaal, ein Feierraum, ein Turnraum und ein Raum für den handwerklichen Unterricht - der Umzug würde die Situation nur weiter verschlechtern. Nichtdestotrotz hielt der Bürgermeister aber weiter an seinem Vorhaben fest und stellte die entsprechenden Anträge. Die technischen Untersuchungen scheinen sich verzögert zu haben und im Zuge des 2. Weltkriegs kam das Vorhaben zum Erliegen.
1970 diente das Schlössle als zweiter Rathaussitz: die Ratsschreiberei, das Notariat sowie der Sitzungssaal waren hier untergebracht. 1984 starteten die dreijährigen Bauarbeiten am Schlössle, sodass 1987 das neue Rathaus hier Einzug halten konnte.
Das Dettinger Schlössle liegt zentral im Ortskern, südlich der Stiftskirche. Die Wappen links neben dem Haupteingang erzählen von seiner wechselvollen Geschichte: Links oben befindet sich das Wappen der Brüder vom gemeinsamen Leben, daneben das prachtvolle württembergische Wappen. Darunter reihen sich das Wappen des Freiherrn Göler von Ravensburg, des Ritters Claus von Grafeneck, seiner Tochter Susanna von Zillenhart sowie der Grafen von Degenfeld. Zuunterst das Wappen der Gemeinde Dettingen an der Erms, die seit 1889 in Besitz des Gebäudes ist. Lediglich vom Fakrikanten Daumüller und Kaufmann Hönninger ist kein äußeres Zeichen mehr zu sehen. Aufgrund der vielfältigen Nutzung ist die einstige Inneneinrichtung nicht mehr vorhanden, auch die früheren Nebengebäude haben den Wandel der Zeit nicht überstanden. Nur ein kleiner Teil des Gartens existiert noch.
Hauptlehrer Lipp: Aus Dettingens und des Ermstals Vergangenheit Dettingen, Dettingen/Erms 1929.
Fritz Kalmbach: Dettingen an der Erms, Dettingen/Erms 1992.
Erwin Wörz: Schulgeschichte von Dettingen an der Erms. 440 Jahre Schule in Dettingen, Dettingen 1992.
Erich Jud: Dettingen muss man einfach mögen, Dettingen 2004.
Gemeindeverwaltung Dettingen/Erms: 900 Jahre Gemeinde Dettingen, Festschrift Dettingen/Erms 1990.