Unterer Greifenstein
Holzelfingen (Gemeinde Lichtenstein), Landkreis Reutlingen
Höhe: 655 Meter
Die Burgstelle Unterer Greifenstein liegt heute im Wald versteckt etwa 100 Meter unterhalb der Ruine Oberer Greifenstein auf einem steilen Burgfelsen, dem sogenannten „Mehlsack“ hoch über dem Zellertal und der Holzelfinger Schlucht. Erstmals erscheint der Name der Burg in der schriftlichen Überlieferung indirekt im Jahr 1187, als ein „Bertholdus de Grifinstain“ genannt wird, der damals unter den Zeugen einer Urkunde des Herzogs Friedrich von Schwaben auftritt.
(Michael Kienzle)
Kennen Sie schon den oberen Greifenstein?
Kurz darauf finden 1191 ein „Albertus“ und dessen Sohn „Cu(o)no de Grifenstein“ Erwähnung. Vermutlich waren diese Greifensteiner, deren Wappen einen auf einem Dreiberg stehenden schwarzen Greifen auf goldenem Grund zeigt, stammesverwandt mit dem älteren edelfreien Adelsgeschlecht „von Pfullingen“, wofür insbesondere mehrfache Besitzüberschneidungen sprechen. Die in Folge oft bezeugten Greifensteiner treten bis in das frühe 13. Jahrhundert vorwiegend als Zeugen für die Pfalzgrafen von Tübingen und die Herzöge von Schwaben auf, später auch für die Grafen von Urach, die Herren von Neuffen oder die Grafen von Grüningen, Landau, Veringen und Württemberg.
Als Stammburg des Geschlechts dürfte die untere der beiden bei Holzelfingen liegenden Greifensteiner Burgen fungiert haben, deren Erbauung der Fundkeramik nach in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts anzusetzen ist und nach der sich die Familie fortan benannte. Weitgehend ungeklärt ist bislang, warum die Greifensteiner unmittelbar neben diesem Adelssitz im 13. Jahrhundert mit dem Oberen Greifenstein eine weitere Burganlage errichteten.
Die Herren von Greifenstein hatten um ihre Stammburg herum eine kleine, aber scheinbar gut ausgebaute Herrschaft errichtet, die sich innerhalb des Echaztals sowie beidseitig auf den angrenzenden Hochflächen erstreckte. In der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts fallen jedoch mehrere Güterverkäufe und Schenkungen der Greifensteiner auf, die möglicherweise auf einen bereits damals einsetzenden wirtschaftlichen Niedergang verweisen könnten. Zudem scheint sich eine zunehmende Konfliktsituation mit der nahen Reichsstadt Reutlingen herausgebildet zu haben, nicht zuletzt wohl in Bezug auf die durch das Echaztal verlaufenden Verkehrswege. Während des Reichskriegs um das Jahr 1311 gehörten die Greifensteiner Burgen offenbar zu den Hauptangriffszielen des Reutlinger Aufgebots. Der damalige Krieg, in dessen Verlauf neben dem Stammsitz Greifenstein vermutlich auch die Burg Hochbiedeck, das nicht weit entfernte Haideck sowie die beiden Lichtensteiner Burgen bei Honau zerstört wurden, scheint zum endgültigen Niedergang der Greifensteiner geführt zu haben. Auch mit dem Kloster Pfullingen kam es in den Folgejahren zum Streit um Besitzrechte, gefolgt von weiteren Gefechten. Dennoch dauerte es noch bis in das Jahr 1355, bis der Ritter Swigger von Greifenstein seine gesamte Herrschaft mit allem Zubehör an das Haus Württemberg verkaufte. Mit diesem letztmals 1367 bezeugten Swigger scheint das Geschlecht schließlich im Mannesstamm erloschen zu sein.
Die Burg selbst blieb Ruine und wird 1596 von dem schwäbischen Historiker Martin Crusius als eine „einen Kanonenschuß von Holzelfingen jenseits des Zellerthals gelegene Burg, von der man nur noch Gräben sieht“ beschrieben. In späteren Jahrhunderten blieb die Erinnerung an die Greifensteiner in Form von Sagen und Erzählungen über „grausame Raubritter“ erstaunlich lebendig. Letztere prägen das Bild jener Herrschaft bis heute stark.
Die untere Burg Greifenstein lag auf einem nach Westen ausgerichteten Felssporn etwa 200 Meter oberhalb der Talsohle des Zellertals, knapp 1,5 Kilometer nördlich von Holzelfingen. Die Burgstelle lässt noch Gräben und künstlich geschaffene Verebnungen im Gelände erkennen, weist jedoch kaum mehr obertägig vorhandenen Mauerbestand auf. Unmittelbar hinter dem vorderen Halsgraben zeichnet sich ein erhöht liegendes, etwa viereckiges Vorburgareal ab, das wohl als erstes Annäherungshindernis, zugleich aber auch als Standort von Ökonomiegebäuden gedient haben dürfte. Dahinter folgt der Hauptgraben der Burg, hinter dem sich der steilwandige Burgfelsen erhebt, auf dem sich mehrere separate Bereiche unterscheiden lassen. Ein Baukörper muss sich auf diesem zumindest dort erhoben haben, wo sich neben einer verebneten Fläche auch schwach erkennbare Balkenlöcher in der anstehenden Felswand abzeichnen, die auf eine hölzerne Konstruktion an dieser Stelle hinweisen. Auf einen beheizbaren Wohnbau am spornseitigen Ende des Burgfelsens, wo sich ebenfalls eine künstlich verbebnete Fläche findet, verweisen zudem Lesefunde von Ofenkeramik des 13. Jahrhunderts. Wie genau die Bebauung dieses Burgfelsens während des Mittelalters in ihrer Gesamtheit ausgesehen haben könnte, lässt sich bislang aber nur vage erahnen. Vermutlich befanden sich dort aber mindestens zwei größere Baukörper, von denen wenigstens der grabenseitige wohl als höheres wehrhaftes Gebäude ausgeführt gewesen sein dürfte. Ein noch etwa 2 Meter hohes Stück Kernmauerwerk am südwestlichen Ende des Burgfelsens und geringfügig erhaltene Reste von Kleinquadermauerwerk nördlich unterhalb davon verweisen außerdem darauf, dass der längliche Felsen ringsum ummauert war. Die zumeist nur schwach erkennbaren Geländespuren innerhalb des Burgareals lassen allgemein eine deutlich umfangreichere Gesamtanlage vermuten, als dies bislang angenommen wurde. Spornseitig verweist eine trapezförmige Mulde mit künstlich abgearbeiteter felsiger Rückwand auf ein weiteres ehemaliges Gebäude, bei dem es sich der Ausformung und der topographischen Situation vielleicht um einen Turm gehandelt haben könnte.
Nur etwa 100 Meter ostseitig oberhalb dieses unteren Herrschaftssitzes befand sich am Übergang des felsigen Sporns in die anschließende Hochfläche die zweite Burg Greifenstein. Beide Anlagen befanden sich in strategisch günstiger Lage oberhalb der alten Holzelfinger Steige sowie des alten durch das Zellertal verlaufenden Verkehrswegs. Archäologisch erfassbare Relikte alter Landnutzung, die sich unterhalb der Burg auf einer Geländestufe finden, verweisen auf eine während des Mittelalters grundsätzlich anders ausgestaltete Nutzung dieses heute vollständig bewaldeten Areals.
Christoph Bizer, Oberflächenfunde von Burgen der Schwäbischen Alb. Ein Beitrag zur Keramik- und Burgenforschung, Stuttgart 2006, S. 119-122.
Martin Crusius, Annales Suevici. Liber Paraleipomenos, Frankfurt am Main 1595/1596.
Der Landkreis Reutlingen. Amtliche Kreisbeschreibung, hrsg. von der Landesarchivdirektion Baden-Württemberg in Verbindung mit dem Landkreis Reutlingen, Band I, Sigmaringen 1997, S. 926.
Michael Kienzle, Burg und Kulturlandschaft. Beobachtungen zum soziokulturellen und topographischen Umfeld mittelalterlicher Adelssitze im Bereich der Mittleren Schwäbischen Alb. Dissertation Tübingen (in Vorbereitung).
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Günter Schmitt, Burgenführer Schwäbische Alb 4, Biberach 1991, S. 301-310.
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