Hohenurach
Bad Urach, Landkreis Reutlingen
Höhe: 692 Meter
Die mittelalterliche Burg Hohenurach – heute Wahrzeichen der Stadt Bad Urach – war einst Stammsitz der mächtigen Grafen von Urach und spielte später eine bedeutsame Rolle als eine der sieben Württembergischen Landesfestungen.
Bestandteile ihrer Grafschaft reichten weit über das Ermstal hinaus bis in den Münsinger Raum, über das Gebiet der heutigen Gemeinde St. Johann sowie über das Münsinger Hart und die Dörfer Wittlingen und Hengen. 1218 erhielten die Uracher Grafen als Teil des reichen Zähringer Erbes zudem umfangreichen Besitz im Schwarzwald und im Breisgau.
(Michael Kienzle)
Burgruine Hohenurach von Horst Guth, Cinecopter
Wohl spätestens seit dem ausgehenden 11. Jahrhundert diente die repräsentative Höhenburg als Stammsitz der Grafen von Urach und als Mittelpunkt der gleichnamigen Grafschaft. Zwar wird eine „Burg Urach“ urkundlich erstmals 1235 konkret erwähnt, jedoch verweisen neben der Nennung eines Grafen Egino von Urach im Jahr 1080 auch archäologische Funde sowie spärlich erhaltene Bauelemente an der heutigen Festungsruine auf eine insgesamt frühere Entstehungszeit der Anlage.
Die mit den Grafen von Achalm stammesverwandten Grafen von Urach scheinen mit diesen einen frühen Herrschaftssitz im nahen Dettingen gehabt zu haben. Bestandteile ihrer Grafschaft reichten weit über das Ermstal hinaus bis in den Münsinger Raum, über das Gebiet der heutigen Gemeinde St. Johann sowie über das Münsinger Hart und die Dörfer Wittlingen und Hengen. 1218 erhielten die Uracher Grafen als Teil des reichen Zähringer Erbes zudem umfangreichen Besitz im Schwarzwald und im Breisgau. Im Ermstal waren sie 1235 in die militärischen Auseinandersetzungen zwischen Kaiser Friedrich II. und dessen Sohn Heinrich (VII.) verwickelt. Der in Freiburg residierende Graf Egino kehrte vor diesem Hintergrund mit „beträchtlicher Streitmacht“ auf seine Burg Urach zurück, wie die urkundliche Überlieferung sehr unmittelbar vermerkt. Mit der darauffolgenden Niederlage der antikaiserlichen Koalition scheint den Uracher Grafen ihre herrschaftliche Grundlage im Ermstal aber zunehmend entglitten zu sein. Nur wenig später gelang es den aufstrebenden Grafen von Württemberg 1254 zunächst die Hälfte der Burg Urach und einen beträchtlichen Teil der Grafschaft erwerben. Bis 1265 verfügten diese dann vollständig über die Burg und Grafschaft.
Die nun württembergische Burg Hohenurach blieb im Reichskrieg 1311 uneingenommen. Um das Jahr 1428 scheint dann unter Graf Ludwig I. ein umfassender Umbau oder gar Neubau der Burg stattgefunden zu haben, auf den die noch erhaltenen gotischen Baureste zurückgehen dürften. Ludwig hatte Urach zur neuen Residenz seines Landesteils auserkoren, nachdem im Nürtinger Vertrag vom 25. Januar 1442 die Teilung Württembergs erfolgt war. Nachdem die Burg 1519 vom Schwäbischen Bund eingenommen worden war, eroberte Herzog Ulrich sie 1534 zurück. Unter ihm und seinem Sohn Herzog Christoph erfolgte schließlich zwischen 1535 und 1555 der Ausbau zur frühneuzeitlichen Festungsanlage. 1547 musste diese im Schmalkaldischen Krieg zeitweise übergeben werden. Sie scheint dabei stark in Mitleidenschaft gezogen worden zu sein. Während des Dreißigjährigen Kriegs 1634/35 blieb die Festung trotz mehrmaliger Angriffe unbezwungen und konnte letztendlich nur durch Aushungern eingenommen werden. Sie verblieb daraufhin zunächst in österreichischem Besitz, bis sie 1649 wieder an Württemberg kam. Seit dem 16. Jahrhundert diente die Burganlage auch als Gefängnis. Unter den Inhaftierten waren bedeutende Persönlichkeiten, wie der Philologe und Dichter Nicodemus Frischlin (1547-1590) oder der Jurist und württembergische Geheimrat Matthäus Enzlin (1556-1613). Eine letzte Erweiterung und Instandsetzung der Festung erfolgte 1663 bis 1669 unter Graf Eberhard III. Im Jahr 1694 wurde der Pulverturm durch einen Blitzeinschlag zerstört. Dennoch blieb die Anlage weiter in Nutzung, bis sie 1765 schließlich aufgegeben und zum Abbruch freigegeben wurde. Offenbar diente sie unter anderem als Steinbruch, um Baumaterial für die Errichtung des Jagdschlosses Grafeneck zu gewinnen. Erst um 1900 scheint man sich zunehmend für den Erhalt der Ruine eingesetzt zu haben, worauf mehrere Aufmauerungen und Ergänzungen jüngerer Zeitstellung an dem erhaltenen Mauerwerk zurückzuführen sind. Zwischen 1860 und 1870 ließ etwa der Uracher Forstamtsleiter, Philipp Freiherr von Hügel, die damals weitgehend unzugängliche Festungsruine so herrichten, dass sie von Touristen gefahrlos besucht werden konnte.
Die Festung Hohenurach erhebt sich etwa 1 km westlich der Stadt Urach auf einem felsigen Plateau auf dem Gipfel des etwa 250 m hohen und nur durch einen schmalen Geländesattel mit der angrenzenden Hochfläche verbundenen Schlossbergs. Ihr heutiges Erscheinungsbild verdankt die Ruine mehreren jüngeren Ausbauphasen. Umfang und Gestalt der mittelalterlichen Gründungsanlage sind dagegen kaum nachzuvollziehen. Vermutlich umfasste diese im Wesentlichen den Bereich des oberen Hofs, wo sich im jüngeren Mauerwerk sporadisch älterer Bestand abzuzeichnen scheint. Mauerwerk des 12./13. Jahrhunderts scheint sich etwa im unteren Teil des sogenannten „Gotischen Baus“ erhalten zu haben. Zu den ältesten datierbaren Bauelementen gehören zwei sekundär vermauerte Kunstformen, darunter ein Konsolenstein sowie ein Kämpferstein, die beide romanische Stilelemente des 12. Jahrhunderts erkennen lassen, die jedoch ihrem ursprünglichen baulichen Kontext entrissen wurden.
Einem spätmittelalterlichen Umbau entstammen die Reste gotischer Architektur des 14./15. Jahrhunderts, die sich insbesondere in dem 10 x 28 m messenden Saalbau erhalten haben, der auf älteren Kellergewölben errichtet wurde. Dieser verfügte über acht aufwendig gestaltete, gegen die Stadt ausgerichtete Maßwerk-Fenster, von denen eines Anfang des 20. Jahrhunderts wiederhergestellt wurde. Einem Bericht des frühen 18. Jahrhunderts zufolge, soll während dieser spätmittelalterlichen Ausbauphase auch ein „neues Schloss“ auf der äußersten Felsenspitze entstanden sein. Bis heute lässt sich die komplexe Baugeschichte des Hohenurach aber nur in Teilen nachvollziehen und viele bauhistorische Fragestellungen bleiben bislang unbeantwortet. Auch eine für das 15. Jahrhundert belegte Burgkapelle etwa lässt sich bislang nicht näher lokalisieren.
Endgültig überprägt wurde die mittelalterliche Burg schließlich mit dem Ausbau zur württembergischen Festung in den Jahren um 1535 bis 1555. Vielleicht noch im späten 15. Jahrhundert dürfte die mit Halbrundtürmen versehene Zwingermauer entstanden sein. Die Feldseite wurde durch die Aufschüttung der massiven Bastion des heutigen Vorhofs befestigt, deren Brüstungsmauern für die Stationierung schwerer Pulvergeschütze ausgelegt waren. Dahinter erhob sich ein zweiter mit Erde hinterfüllter Wall von beachtlichen Ausmaßen, durch den die einstmals von einer Zugbrücke geschützte, überwölbte Tordurchfahrt – vorbei an einer kleinen Wachkammer – in den oberen Hof führt. Auf der Oberseite dieser Bastion befand sich der „Brunnengarten“. Die Hauptangriffsseite deckte der im Durchmesser etwa 14 m messende „Upfinger Turm“ mit seinen knapp 3 m starken Mauern. Darin eingelassene, für schwere Artillerie ausgelegten „Maulscharten“, zeugen von der einstigen Wehrhaftigkeit. Nur unmerklich kleiner, schützte auf der gegenüberliegenden Seite der „Dettinger Turm“ die nördliche Seite der Festung. Eine heute weitgehend verschwundene Zwingermauer umfasste den etwas tiefer liegenden „Großen Zwinger“, in deren mittlerem Abschnitt sich auf einer etwas vorspringenden Felsnase ein runder, heute vollständig verschwundener Pulverturm befand. Der Zugang zur Festung erfolgte über den „Wachstubenturm“. An dessen Stelle befand sich zunächst noch ein deutlich kleinformatigerer Torturm, der erst später entsprechend ausgebaut wurde. Reste mittelalterlichen Mauerwerks im unteren Teil des Bauwerks belegen auch in diesem Bereich frühe Bautätigkeit. Im oberen Stockwerk befinden sich drei, durch einen überwölbten Gang erschlossene Räume. Im unteren Geschoss erstreckt sich eine große, tonnenüberwölbte Halle. Unmittelbar vor der Tordurchfahrt lag ein heute gänzlich verfüllter Graben, über den eine hölzerne Zugbrücke führte. Weitere Tore und Befestigungsanlagen erstreckten sich entlang des Burgwegs noch weit den Hang hinab.
Grundlegend umgestaltet wurde auch der obere Burghof, in dem Mannschaftsunterkünfte sowie Waffen- und Vorratslagerbauten errichtet wurden. Erhalten sind Reste dieser Gebäude vor allem auf der östlichen Hofseite. Diese ziehen sich dort, beginnend mit dem hoch erhaltenen Giebelbau, über mehrere Kammern und Räume der Umfassungsmauer entlang, bis zum Nordende der Anlage und bildeten einst eine vierstöckige Gebäudefront. Dort befanden sich unter anderem die Hofküche, die Backstube und ein Backofen sowie der „Rittersaal“. Am südlichen Hofende lag die Gesindeküche mit „angehängtem Speisegewölb“. Einstmals war die gesamte östliche Gebäudefront von einer umlaufenden, säulengestützten hölzernen Galerie umgeben. An die westliche Umfassungsmauer angelehnt befanden sich zwei heute noch im unteren Teil erhaltene Pulvertürme sowie die vollständig abgegangenen Bauten des Zeughauses und eines Badhauses. Eine gut erhaltene Wendeltreppe erschloss die hölzerne Galerie sowie die obere Bastion, die ebenfalls über eine überwölbte Durchfahrt vom „Inneren Hof“ aus erreichbar war. Eine Zisterne beziehungsweise ein Brunnen befanden sich im südlichen Teil des Hofs sowie im „Brunnengarten“. Durch die Anlage des „Neuen Werks“ schob man die Befestigungsanlagen schließlich bis weit auf die bergseitige Felsspitze hervor – ein ambitioniertes Vorhaben, das aber offenbar nie zum Abschluss gebracht wurde.
Nachdem 2011 massive Bauschäden an zahlreichen Stellen der Ruine festgestellt werden konnten, erfolgten seitdem umfassende Sicherungsarbeiten, mit dem Ziel den vorhandenen Bestand dieser bedeutsamen Anlage auch für künftige Generationen zu erhalten.
Im näheren Umfeld der mittelalterlichen Burg befanden sich einst weitere Ansiedlungen, so etwa ein abgegangener Burgweiler im Brühltal oder die ehemalige Klosteranlage Güterstein bei den heutigen Gütersteiner Wasserfällen – einst eine Gründung der Grafen von Urach. Ein im Dreißigjährigen Krieg zerstörter württembergischer Viehof lag am südöstlichen Fuße des Burgbergs. Zahlreiche Geländespuren zeugen überdies von einer intensiven, über die Jahrhunderte währenden landwirtschaftlichen Nutzung des heute dicht bewaldeten Burgbergs. Der von der Ruine aus in der Ferne sichtbare Uracher Wasserfall gehört zu den naturlandschaftlichen und touristischen Highlights der Region.
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