Baldeck
Wittlingen (Bad Urach), Landkreis Reutlingen
Höhe: 628 Meter
Burg Baldeck war eine Felsenburg hoch über dem Ermstal, die etwa 4,5 km südöstlich von Bad Urach unweit des Dorfs Wittlingen lag.
Zum ersten Mal wird die Burg, deren Name wohl nichts anderes als „die kühne Burg“ bedeutet, in der schriftlichen Überlieferung im September des Jahres 1256 erwähnt, als drei Urkunden des Klosters Obermarchtal in castris obsidionis Baldegge, also offenbar während einer damals stattfindenden Belagerung der Burg beziehungsweise innerhalb eines dortigen Belagerungslagers ausgestellt worden sein sollen.
(Michael Kienzle)
Zwar wird die Echtheit jener Urkunden, die vermutlich erst um 1300 als Marchtaler Fälschungen angefertigt wurden, heute überzeugend bestritten; allerdings verweisen nicht nur archäologische Funde, sondern auch ausgeprägte Brandspuren an dem dortigen Burgfelsen darauf, dass es um die Jahrhundertmitte tatsächlich zu einem abrupten Niedergang der Burg infolge einer gewaltsamen Zerstörung kam. Aller Wahrscheinlichkeit nach wurde die Burg Baldeck Opfer der nach Süden und auf die Alb ausgreifenden Territorialpolitik der Württemberger Grafen, die infolge des sukzessiven Erwerbs der Grafschaft Urach seit der Mitte des 13. Jahrhunderts zu einer massiven herrschaftlichen Neuausrichtung innerhalb des Ermstals führte.
Der vorhandenen Fundkeramik nach dürfte Burg Baldeck gegen Ende des 12. Jahrhunderts erbaut und in der Folge nur wenige Jahrzehnte bewohnt worden sein. Eine in die späteren Jahrzehnte des 13. Jahrhunderts hineinreichende Nutzungsdauer lässt sich mittels der archäologischen Funde weitgehend ausschließen, sodass ein Niedergang der Burg um die Jahrhundertmitte anzusetzen ist. Die Herren von Baldeck, die wohl dem ehemaligen ritterlichen Dienstadel der Uracher Grafen angehörten und in ihrem Wappen einen steigenden Hund beziehungsweise eine Bracke führten, scheinen sich in der Folge einen neuen Herrschaftssitz im nahen Dorf Magolsheim geschaffen zu haben. Mitglieder der Familie werden vom 13. bis in das 15. Jahrhundert mehrfach genannt, so etwa 1268 ein Otto von Baldeck, 1276 ein Rudolf und 1281 die Brüder Hartmann und Marquard von Baldeck. 1394 war ein Otto von Baldeck württembergischer Burgvogt auf Lichtenstein; ein weiterer Baldecker war 1440 Burgherr zu Asperg und Rat des Grafen Ludwig von Württemberg. 1565 verstarb der letzte Herr von Baldeck auf der Jagd bei Magolsheim wegen eines Sturzes vom Pferd. Er liegt in der dortigen Kirche begraben. Die einstige Stammburg wird 1580 als Burgstall bezeichnet und ist noch in Kartenwerken des frühen 18. Jahrhunderts als Ruine eingetragen. Zeitweise soll sie im 17. Jahrhundert Wegelagerern als Unterschlupf gedient haben, worauf vielleicht die damals geläufige Bezeichnung „Mörderschlössle“ zurückgeführt werden kann.
Burg Baldeck erhob sich auf der östlichen Seite des Ermstals etwa 80 m oberhalb der „Enge“ auf einem steilen, stark überhöhten Burgfelsen. Gegen die Feldseite wurde die Anlage durch einen etwa 11 m breiten grabenartigen Einschnitt geschützt. Dahinter bildet eine etwa 14 m lange bearbeitete Felsrippe eine Art Schildmauer. Auf deren Oberseite lässt sich noch ein bis zu sechs Lagen aufweisender Rest einer aus Kleinquadern errichteten Mauer erkennen. Relikte eines westseitig daran anschließenden Mauerzugs sowie eine einst überbaute steile Felsnadel, auf der sich ebenfalls geringfügige Reste von Mauerwerk finden, vervollständigten die feldseitige Befestigung der Anlage.
Ein größeres Gebäude scheint unmittelbar nördlich jener Felsnadel gelegen zu haben, wo sich stellenweise Spuren von Mauerwerk nachvollziehen lassen. Den Kern der Anlage machte der zentral liegende Burgfelsen aus. Auf diesem finden sich an mehreren Stellen markante Bearbeitungsspuren, darunter zwei sorgfältig aus dem Gestein gearbeitete Untergeschosse ehemaliger Räume. Ob hier einstmals ein etwa 9 x 9 m großer Wohnturm vorauszusetzen ist, wie teils vorgeschlagen wurde, oder ob vielleicht doch eher an einen schlankeren Bergfried mit daran angelehnten Gebäuden zu denken ist, lässt sich aus dem vorhandenen Befund heraus kaum entscheiden. Weitgehend unklar bleibt auch, wo der ursprüngliche Zugang zur Burg erfolgte. Möglicherweise führte dieser über eine ausgehauene, schräg ansteigende Gasse hinter der Schildmauer in das Burginnere. Mehrere unmittelbar vorgelagerte Verebnungen im Gelände verweisen zudem auf eine über das engere Burgareal hinausreichende Nutzungstätigkeit.
Zu Burg Baldeck scheint einst eine eigene Burgherrschaft gehört zu haben, bestehend unter anderem aus einem kleinräumigen Feld und Waldbezirk. Unmittelbar unterhalb der Burg führte die bedeutende Straße durch das Ermstal von Urach kommend über Seeburg auf die Münsinger Alb.
Christoph Bizer/Wilhelm Gradmann, Burgen und Schlösser der Schwäbischen Alb, Stuttgart 1994, S. 57.
Michael Kienzle, Die Belagerung der Burg Baldeck im Herbst des Jahres 1256, in: Ders., Burgenbau und Adel im oberen Ermstal. Archäologie und Geschichte, Beiträge zur Bad Uracher Stadtgeschichte 8 (2022), S. 87-111.
Michael Kienzle, Burg und Kulturlandschaft. Beobachtungen zum soziokulturellen und topographischen Umfeld mittelalterlicher Adelssitze im Bereich der Mittleren Schwäbischen Alb (in Vorbereitung).
Michael Kienzle, Die Burg Wittlingen. Ein „Schlüssel“ zu Württemberg?, Beiträge zur Bad Uracher Stadtgeschichte 5 (2017) / bzw. Neuauflage in: Ders., Burgenbau und Adel im oberen Ermstal. Archäologie und Geschichte, Beiträge zur Bad Uracher Stadtgeschichte 8 (2022), S. 11-66.
Konrad Albert Koch, Hohenwittlingen und Baldeck. BlSAV 27/4 (1915), S. 90-92.
J. D. G. Memminger, Beschreibung des Oberamts Urach, Stuttgart/Tübingen 1831, S. 218-219.
Claus Oeftiger, Burgen im oberen Ermstal, in: Der Runde Berg bei Urach. Führer zu archäologischen Denkmälern in Baden-Württemberg 14, Stuttgart 1991, S. 152.
Lutz Reichardt, Ortsnamensbuch des Kreises Reutlingen. Veröffentlichungen der Kommission für Geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg 102, Stuttgart 1983, S. 21.
Günter Schmitt, Kaiserberge, Adelssitze. Die Burgen, Schlösser, Festungen und Ruinen der Schwäbischen Alb, Biberach 2014, S. 131.
Günter Schmitt, Burgenführer Schwäbische Alb 4, Biberach 1991, S. 237-242.
Wilfried Schöntag, Die Marchtaler Fälschungen. Das Prämonstratenserstift Marchtal im politischen Kräftespiel der Pfalzgrafen von Tübingen, der Bischöfe von Konstanz und der Habsburger (1171-1312). Studien zur Germania Sacra 5, Berlin 2017.