Niedergundelfingen
Gundelfingen (Münsingen), Landkreis Reutlingen
Höhe: 653 Meter
Markant auf einem Umlaufberg der Lauter gelegen, war Burg Niedergundelfingen Sitz einer Linie der mächtigen Herren von Gundelfingen. Über die Ursprünge der spätmittelalterlichen Burganlage ist bis heute wenig bekannt.
(Michael Kienzle)
Als Stammvater des Hauses Gundelfingen gilt der Ritter Swigger (I.), der um 1105 und erneut 1112 in den Quellen genannt wird. Seine Familie verfügte in der Folge über einen beachtlichen Herrschaftsbereich, der sich um das mittlere Große Lautertal sowie weite Teile der umgebenden Hochflächen erstreckte. Verwandtschaftliche Beziehungen bestanden wohl zu den benachbarten Herren von Steußlingen und Justingen. Burg Niedergundelfingen findet erstmals 1264 namentlich Erwähnung, wenn sich der Ritter Swigger (IX.), genannt „der Lange“, auf seinem Siegel nach seiner Burg Neugundelfingen nennt – de Novo Gundelfing. Dieser hatte die Linie Niedergundelfingen begründet und gilt als Erbauer der mutmaßlich um die Mitte des 13. Jahrhunderts neu errichteten Burg Niedergundelfingen. Aus dem väterlichen Erbe waren ihm Güter in Gundelfingen, Marbach, Münzdorf, Weiler, Granheim, Ehestetten, Eglingen, Bremelau, Mehrstetten, Schmiechen und auch Besitz um Stuttgart zugefallen. Dazu erhielt er um 1280 auf dem Erbweg die Stadt Hayingen. Bereits unter seinen Söhnen Swigger (XIV.) und Konrad (VIII.) wurde der umfangreiche Erbteil allerdings erneut geteilt. Ersterer begründete die Linie Gundelfingen-Ehestetten-Ehrenfels. Die Masse des Besitzes erhielt aber Konrad (VIII.), der die Linie Niedergundelfingen-Derneck begründete. Seine Söhne Konrad (XII.) und Degenhard (I.) teilten abermals; Konrad erhielt dabei die Herrschaft Niedergundelfingen, sein Bruder Degenhard bekam den Ort Münzdorf, Besitz in Schmiechen und Stuttgart sowie wahrscheinlich einen Anteil an Hayingen. In ihm dürfte der Erbauer der 1351 erstmals genannten Burg Derneck zu sehen sein sowie der Ahnherr des Zweigs Niedergundelfingen-Derneck-Neufra, der noch bis in das 16. Jahrhundert hinein existierte.
Burg Niedergundelfingen ging von den Gundelfingern mitsamt Zubehör 1407 an Jörg von Wöllwart, 1409 dann an Wolf vom Stein zu Klingenstein und 1617 erwarben sie die Herren Reichlin von Meldegg. Eine vergleichsweise frühe Zerstörung, wie sie die benachbarte Burg Hohengundelfingen Ende des 14. Jahrhunderts ereilte, blieb ihr erspart. Noch Ende des 16. Jahrhunderts war einer bildlichen Darstellung zufolge die Burg weitgehend intakt und unter Dach. Im 19. Jahrhundert scheint es zu mehrfachen Besitzerwechseln gekommen zu sein, während denen die Burg wohl zunehmend dem Verfall überlassen wurde. Ab 1906 wurde ein Teil der Ruine zu Wohnzwecken wieder hergerichtet. Südseitig errichtete man ein neues Wohnhaus. 1966 brach ein größerer Teil der westlichen Umfassungsmauer heraus, die anschließend in ihrer jetzigen Höhe neu errichtet wurde. Heute ist die Anlage in Privatbesitz und kann nicht frei besichtigt werden.
Bis heute nicht eindeutig geklärt ist, wann genau die erste Burganlage auf dem Umlaufberg oberhalb des Dorfs Gundelfingen errichtet wurde. Mangels archäologischer Funde steht eine gesicherte Datierung bislang aus. Die Erbauung einer Vorgängeranlage bereits im 12. Jahrhundert kann dem erhaltenen Baubestand nach zumindest nicht ausgeschlossen werden.
Burg Niedergundelfingen erhebt sich etwa 40 Meter oberhalb des Dorfs auf einem durch einen schmalen Sattel nach Osten mit der Talflanke verbundenen Umlaufberg der Lauter. Heute besteht die Ruine aus einer rechteckigen, etwa 48 x 22 m großen Anlage mit auf drei Seiten bis zu rund 10 Meter hoch erhaltenen Mauern. Lediglich die 1966 neu errichtete westliche Ringmauer ist niedriger. Im südwestlichen Eck liegt unterhalb des modernen Wohngebäudes das Burgtor, über dessen Spitzbogen sich ein Wappen der Herren von Gundelfingen im spätmittelalterlichen Stil findet. Mindestens ein weiteres Tor ermöglichte den Zutritt in einen etwa 35 x 40 Meter messenden Vorburgbereich, von dessen Umwehrung noch Reste der Umfassungsmauern und mehrerer Halbrundtürme zeugen. Auf einer mittigen Erhebung liegt eine Kapelle des 18. Jahrhunderts, deren Michaelpatrozinium als Indiz für eine ursprünglich mittelalterliche Entstehungszeit beziehungsweise eine Vorgängeranlage herangezogen werden kann. Über eine den Graben durchbrechende Rampe erreicht man das Haupttor der Burg; ursprünglich dürfte hier eine hölzerne Zugbrücke vorhanden gewesen sein.
Die rechteckige Kernburg geht im Wesentlichen auf eine spätmittelalterliche Ausbauphase zurück. Spätstauferzeitliches Mauerwerk des 13. Jahrhunderts scheint sich im südlichen Teil der westlichen Mauer in Form markanter Buckelquader abzuzeichnen. Noch älteres Mauerwerk, das vielleicht sogar noch ins 12. Jahrhundert zurückreichen könnte, lässt sich auf der Ostseite der Burg ausmachen. Die restliche Ringmauer dürfte im späten 13. oder im frühen 14. Jahrhundert entstanden sein und wurde in mindestens einer weiteren Ausbauphase nachträglich erhöht. Im Inneren der Anlage lassen sich, mit Ausnahme eines an die östliche Umfassungsmauer angebauten Gewölbekellers sowie einer noch Wasser führenden, etwa 6 Meter tiefen Zisterne, kaum Spuren der einstmaligen Innenbebauung erkennen. Jedoch kann auf der Nordseite ein repräsentativer Wohnbau rekonstruiert werden, auf den mehrere Balkenlöcher im Mauerwerk der Ringmauer, Relikte eines Kamins sowie der Durchgang zu einem Aborterker hinweisen. Ein in der Kapelle angebrachtes Ölgemälde des 18. Jahrhunderts zeigt neben dem nördlichen, mit auskragendem Fachwerkobergeschoss und Walmdach bestückten Gebäude, auch auf der Südseite der Burg einen größeren, damals ein Satteldach aufweisenden Baukörper.
Burg Niedergundelfingen war stets der Kern einer kleinräumigen Adelsherrschaft. Neben der wohl stets bestehenden Verfügungsgewalt über das unterhalb gelegene Dorf gehörten zur Burg laut einer Beschreibung um 1700 auch eine Kapelle, ein Backhaus, eine Scheuer und Stallungen sowie mehrere Wiesen, Äcker und Fischgewässer.
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