Oberer Greifenstein
Holzelfingen (Gemeinde Lichtenstein), Landkreis Reutlingen
Höhe: 755 Meter
Die Ruine Oberer Greifenstein ist eine am Rande der Holzelfinger Hochfläche auf einem steilen Kalksteinfelsen gelegene Burganlage. Es handelt sich um die höher gelegene der beiden Greifensteiner Hauptburgen im Echaztal. Nachdem mit einem „Bertholdus de Grifinstain“, der im Jahr 1187 unter den Zeugen einer Urkunde des Herzogs von Schwaben genannt wird, erstmals die Familie der Greifensteiner nachweisbar wird, hatten sich diese bereits in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts am Unteren Greifenstein eine erste Burganlage errichtet.
(Michael Kienzle)
Kennen Sie schon den unteren Greifenstein?
Anfang des 13. Jahrhunderts erbauten sie mit dem Oberen Greifenstein nur etwa 100 Meter oberhalb davon eine weitere Burg. Welche Beweggründe der Entstehung dieses zweiten, unmittelbar benachbarten Adelssitzes zugrunde lagen, lässt sich bislang nur vage erahnen. Zwar beschrieb der schwäbische Historiker Martin Crusius diese obere Anlage gegen Ende des 16. Jahrhunderts lediglich als eine Art vorgeschobene „Warte der Wächter“, jedoch verweisen Funde von Qualitätskeramik, Ofenkacheln und weiterer Ausstattungsteile auf eine gehobene, adelige Bewohnerschicht.
Die Greifensteiner, die im Wappen einen auf einem Dreiberg schreitenden schwarzen Greifen auf goldenem Grund führten, scheinen sich im späten 12. und während des 13. Jahrhunderts eine kleinräumige, aber allem Anschein nach gut ausgebaute Adelsherrschaft im oberen Echaztal errichtet zu haben. Neben den Orten Unterhausen und Holzelfingen umfasste diese auch Besitz in Ohnastetten, Oberhausen und Pfullingen. Auch über mehrere Burganlagen sowie einen Kreis ritterlicher Dienstleute konnten die Greifensteiner verfügen. Mehrfach lassen sich zudem Beziehungen zu den Klöstern der Umgebung nachvollziehen, so etwa nach Pfullingen oder Offenhausen. Der Sage nach sollen die Greifensteiner sogar im Talschluss des engen „Zellertals“ eine eigene geistliche Niederlassung gegründet haben. Jüngst durchgeführte archäologische Untersuchungen am „Brudersteig“ konnten dort beachtliche Relikte einer offenbar großräumigen und mit einer massiven Umfassungsmauer versehenen Anlage erfassen, zu der bislang noch so manche Frage offen bleibt. Die in der Forschung bislang in Bezug auf ihre Bedeutung vermutlich unterschätze Familie konnte teils bedeutsame Positionen erringen. So war ein Albrecht von Greifenstein in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts Landrichter des Grafen von Württemberg, wenig später übte ein Kuno von Greifenstein dasselbe Amt im Thurgau aus und um die Jahrhundertmitte war ein Rudolf von Greifenstein Abt des Klosters Blaubeuren.
Vermutlich um die Mitte des 13. Jahrhunderts scheinen die Greifensteiner zunehmend in Konflikt mit der aufstrebenden Reichstadt Reutlingen geraten zu sein. So waren die Greifensteiner Burgen dann vor dem Hintergrund des Reichskriegs gegen Württemberg um das Jahr 1311 auch Ziele erster Wahl, als das Reutlinger Aufgebot zunächst die Herrschaft Greifenstein, dann die Burgen der Lichtensteiner und anschließend die nicht weit entfernte Burg Haideck verheerten. Wie ein zeitgenössischer Text sehr konkret vermerkt, scheinen die Burgen des Echaztals in diesem Konflikt teils bis auf die Grundmauern zerstört worden zu sein.
Die Burg Oberer Greifenstein blieb daraufhin Ruine und wird 1596 von Crusius als eine „einen Kanonenschuß von Holzelfingen jenseits des Zellerthals gelegene Burg, von der man nur noch Gräben sieht“ beschrieben. Auch das Landbuch von 1624 nennt sie nur noch als einen „alten Burgstall“. In späteren Jahrhunderten blieb die Erinnerung an die Greifensteiner aber erstaunlich lebendig, vorrangig in Form von Sagen und Geschichten über „grausame Raubritter“, die bis heute das Bild jener Herrschaft prägen. Bereits 1893 fanden an der Ruine umfangreiche Grabungsarbeiten statt, die federführend durch den Schwäbischen Albverein durchgeführt wurden. Auch in der Folge kam es mehrfach zu Freilegungsarbeiten und Restaurierungsmaßnahmen. Den großzügigen Aufmauerungen beziehungsweise Ergänzungen dieser Zeit verdankt die Anlage im Wesentlichen ihr heutiges Erscheinungsbild.
Die Herrschaft Greifenstein selbst bestand noch bis in die Mitte des 14. Jahrhunderts weiter. Erst im Jahr 1355 verkaufte der letzte Greifensteiner mit Namen Swigger seine Burg und Herrschaft an Württemberg. Mit ihm scheint die Linie der Greifensteiner, deren Vertreter sich bis in den Bodenseeraum und in die heutige Schweiz hinein verfolgen lassen, in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts im Mannesstamm ausgestorben zu sein.
Die Burg Oberer Greifenstein erhob sich in exponierter Lage auf einem von der Hochfläche hervorspringenden Felsen gegenüber der alten Holzelfinger Steige. Feldseitige ging das Gelände relativ ebenerdig in die angrenzende Hochfläche über und bot somit kaum natürlichen Schutz. Diesen gewährte ein etwa 7 Meter breiter und heute ungefähr 2 Meter tiefer hufeisenförmiger Halsgraben. Über diesen führte eine Brücke durch ein noch in Resten zu erschließendes Tor in das Innere der Burg. Dort finden sich linkerseits die Grundmauern eines fünfeckigen Baukörpers mit auffallend starken Außenmauern, abgerundeter Nordostecke und markanten Tuffquadern am südöstlichen Eckbereich. In diesem sind wohl die Reste eines wehrhaften Gebäudes oder ein turmartigen Bauwerks auf der gefährdeten Angriffsseite zu sehen. Westlich des Burgtores schloss sich die 1,60 Meter starke Umfassungsmauer aus Bruchstein an, die einen etwa 12 x 24 Meter großen „Hofbereich“ umfasste, dessen Innenbebauung bislang weitgehend unklar bleibt. 1893 fanden sich dort „viele Brandreste und Spuren, die auf Überbauung der nördlichen Hälfte des Hofes hinweisen“. Eine solche scheint sich auch heute noch anhand vorhandener Geländespuren plausibel herleiten zu lassen. Weitgehend unklar bleibt die Baustruktur der Burg im Bereich der Spornspitze des Burgfelsens, wo vermutlich einst ein weiteres Gebäude vorauszusetzen ist. Die starke Überprägung der Ruine beziehungsweise die zahlreichen Veränderungen jüngerer Zeitstellung erschweren die Rekonstruktion des tatsächlichen Aussehens der ursprünglichen Burganlage beträchtlich.
Eine weitere Umfriedung scheint etwa 14 Meter im Vorfeld des Halsgrabens um die Burg verlaufen zu sein. Dort lässt sich nahe der modernen Schutzhütte das Relikt eines stark verflachten Grabens erkennen, der die Gesamtanlage bogenförmig umschloss. Offenbar wies auch die dahinter anzunehmende Vorburg zumindest teilweise eigenen Baubestand auf. Hierauf deuten etwa zwei Mulden innerhalb des Areals sowie einige Streufunde. Es ist anzunehmen, dass dort einst leichte Wirtschaftsbauten sowie weitere der burgeigenen Ökonomie dienende Strukturen Platz fanden. Burgeigenes Wirtschaftsland dürfte darüber hinaus im Vorfeld der Anlage gelegenen haben, wo sich heute im bewaldeten Bereich Relikte alter Flurgrenzen sowie eine in Resten erhaltene Rodungsinsel finden.
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