Hohenwittlingen
Wittlingen (Bad Urach), Landkreis Reutlingen
Höhe: 677 Meter
Burg Hohenwittlingen war eine der größeren Burganlagen des oberen Ermstals und spielte zeitweise im Zuge der Herausbildung des württembergischen Territoriums eine bedeutsame Rolle. Die Ruine gehört neben Hohenurach zu den markanteren Burgresten des oberen Ermstals. Sie erhebt sich auf einem steilen Burgfelsen hoch über der Talaue bei Georgenau.
(Michael Kienzle)
Burg Hohenwittlingen von Horst Guth, Cinecopter
Erstmals wird die Burg im Jahr 1251 im Zuge des Verkaufs an Württemberg als castrum Witelingen genannt. Dass diese aber deutlich älter ist, belegen nicht nur Lesefunde aus der Zeit um 1200, sondern auch die Nennung eines Burchardus de Witilingin in den Jahren 1089/90, bei dem es sich möglicherweise um den ersten Burgherren beziehungsweise den Erbauer der Burg handeln könnte. Ort und Burg gehörten einst zur Grafschaft Achalm, gingen auf dem Erbweg aber zeitweise an die Grafen von Lechsgmünd und waren im 13. Jahrhundert wahrscheinlich Teil der Grafschaft Urach. 1248 erscheint der Bischof Eberhard von Konstanz als Eigentümer der Burg, wohl als Folge der Beteiligung der Uracher Grafen an den Erhebungen König Heinrichs (VII.) und des Schwäbischen Adels im Jahr 1235 gegen Kaiser Friedrich II. Bereits 1251 verkauft der Bischof die Anlage um 1100 Mark Silber mitsamt Zubehör an das expandierende Haus Württemberg. Damit ist Hohenwittlingen die erste Burg der Württemberger im Ermstal und konnte als bedeutsamer Ausgangspunkt für die Expansionspolitik des Grafenhauses dienen. 1254 tauschte Graf Ulrich I. die Hälfte der Burg gegen die Hälfte von Burg und Grafschaft Urach. 1286 diente sie neben der Burg Rems als Pfand des Grafen Eberhard I. für den mit König Rudolf I. von Habsburg geschlossenen Frieden.
Um 1300 war der über der bedeutenden Ermstalstraße errichtete Hohenwittlingen einer der Hauptstützpunkte der württembergischen Herrschaft und 1311 konnte die Burg im Reichskrieg erfolgreich verteidigt werden. Sie blieb bis ins 15. Jahrhundert Eigenbesitz der Grafen. Im 16. Jahrhundert verlor sie endgültig ihre vormalige Bedeutung, diente aber noch einige Zeit als Sitz eines württembergischen Burgvogts, später eines bewaffneten Forstknechts. 1548 war sie Zufluchtsstätte des Reformators Johannes Brenz, der während seines dortigen Aufenthalts seinen berühmten Kommentar über den 93. Psalm verfasste und den späteren württembergischen Katechismus entwarf.
1576 brannte die Burg nieder, wurde aber danach wieder soweit hergestellt, dass ein Gefängnis für „Wilderer und Bösewichter“ eingerichtet werden konnte. Im 30jährigen Krieg wurde bis 1648 zeitweise wieder eine kleine Garnison dorthin verlegt. In der Folgezeit setzte der Verfall und ein teilweiser Abbruch der Anlage ein, die allerdings noch im 18. Jahrhundert den Wittlinger Bauern bei Gefahr als Zufluchtsort für deren Vieh gedient haben soll. Eine umfangreiche Sicherung der Anlage erfolgte 1953-63, jedoch scheinen bereits zuvor mehrfach Instandsetzungsarbeiten durchgeführt worden zu sein. Größere Bekanntheit erlangte der Hohenwittlingen schließlich auch dadurch, dass auf dem nahen Hofgut seit 1864 der Schriftsteller David Friedrich Weinland lebte, der dort 1876 sein bekanntes Jugendbuch „Rulaman“ schrieb, dessen Handlung in der Gegend um Hohenwittlingen und in den dortigen Höhlen spielt. Noch heute befindet sich das 1705 erbaute und später erweiterte Hofgut Wittlingen im Besitz der Familie Weinland.
Die auf einem steilen Felssporn erbaute Burganlage ist gegen die Hochfläche durch einen etwa 14 m tiefen Halsgraben sowie durch einen etwas kleineren Vorgraben gesichert. Der Burgweg führte wohl stets nordöstlich der Anlage entlang und erreichte von dort die Hauptburg am nordwestlichen Ende des Areals. Ein etwas tiefer liegender Vorburgbereich am Spornende, der wohl der Aufnahme leichter Ökonomiebauten diente, weist heute keinerlei sichtbare Baureste mehr auf. Vollständig abgegangen ist auch das äußere Burgtor, das durch ein kleines Rondell oberhalb des Burgwegs geschützt war. Einige Meter dahinter, dort wo die Umfassungsmauer des oberen Hofs heute am steilen Felsen endet, dürfte das zweite Burgtor gelegen haben, auf das noch ein kleines Mauerstück hindeutet. Dahinter folgen im unteren Burghof die Reste eines spätmittelalterlichen Gebäudes, dessen Kellergeschoss ein teilweise erhaltenes Portal erschließt.
Über eine aus dem Fels gearbeitete Treppe erreicht man den oberen Burghof mit seiner mehrfach erneuerten Umfassungsmauer. Einst dürften sich hier an der Innenseite der Mauer angelehnte Gebäude befunden haben. Über einen schmalen Durchgang, der auf eine originale Pforte in diesem Bereich zurückgeht, erreicht man vom östlichen Eck des oberen Hofs aus den schmalen, spätmittelalterlichen Zwingerbereich oberhalb des Halsgrabens, der zur feldseitigen Verstärkung der Burg diente und vielleicht einmal eine Einheit mit dem nordseitigen Zwinger bildete. Dort lassen sich noch die Grundmauern eines kleinen Gebäudes erkennen.
Der markanteste Teil der Ruine ist die bis zu 12 m hoch erhaltene Schildmauer, an der sich mehrere Bau- und Reparaturphasen im Mauerwerk ablesen lassen. Dem ältesten erhaltenen Bestand entstammt das dem 12./13. Jahrhundert zuzuordnende Mauerwerk am südwestlichen Mauerende. Dieses aus ortsfremden Sandsteinbuckelquadern von hoher handwerklicher Qualität gefertigte Mauerwerk verdeutlicht zugleich einen enormen gestalterischen und repräsentativen Anspruch der damaligen Burgherren. Später muss es zu einer Zerstörung des hochmittelalterlichen Bestands gekommen sein, dessen Reste im Zuge der Errichtung der spätmittelalterlichen Schildmauer des 14. Jahrhunderts mit einbezogen wurden, welche durch ihr weit weniger qualitätsvolles kleinteiliges Mauerwerk gekennzeichnet ist.
Klar erkennbare Baureste der Gründungsanlage aus der Zeit um die Wende vom 11. zum 12. Jahrhundert sind nicht mehr erhalten. So bleibt das Aussehen der Burg in dieser frühen Phase vage. Die heute vorhandene Ruine geht im Wesentlichen auf einen spätmittelalterlichen Neubau des 14. Jahrhunderts zurück. Zahlreiche Ausbesserungen und Aufmauerungen jüngerer Zeitstellung prägen zudem das Erscheinungsbild der Ruine.
Burg Hohenwittlingen war einst Kern einer ausgedehnten Adelsherrschaft, zu der neben dem Dorf Wittlingen weitere Siedlungen auf der angrenzenden Hochfläche gehörten. Burgeigenes Wirtschaftsland lag außerdem im Ermstal um die Wittlinger Mühle, das heutige Georgenau. Dort verlief auch die bedeutende Straße von Urach auf die Alb nach Münsingen, oberhalb derer sich die Ermstalburgen geradezu aneinander aufreihen.
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