Obere Burg Pfullingen
Pfullingen, Landkreis Reutlingen
Die Obere Burg lag im südlichen Siedlungsbereich des mittelalterlichen Pfullingen in einem heute weitgehend modern überbauten Areal und diente als Sitz der Adelsfamilie „von Pfullingen“. Lange sah die Lokalforschung in der Oberen Burg den Herrschaftssitz eines „Grafen des Pfullichgaus“, der einem eigenen „Pfullinger Grafenhaus“ entstammt haben soll.
(Michael Kienzle)
Dem jüngeren Forschungsstand folgend hat es ein solches aber wohl nie gegeben. Vielmehr handelte es sich bei jenem mutmaßlichen Grafen „Hermann“, dessen Name in der historischen Überlieferung erscheint, mit hoher Wahrscheinlichkeit um Herzog Hermann I. von Schwaben (929–949), der die alten Grafschaftsrechte im Pfullichgau im Zusammenhang mit dem Herzogsamt vom König übertragen bekommen hatte.
Spätestens um die Mitte des 11. Jahrhundert lässt sich eindeutig eine in Pfullingen ansässige edelfreie Familie fassen, als deren prominentester Vertreter der 1065 zum Erzbischof von Trier ernannte Konrad von Pfullingen in Erscheinung tritt. Jedoch wurde dieser bereits im Vorfeld seines Amtsantritts ermordet. Ob die im 11./12. Jahrhundert mehrfach nachweisbare Familie ihren Sitz auf der Oberen Burg hatte beziehungsweise auch, ob diese damals überhaupt schon bestand, lässt sich bislang nicht nachweisen. Nach 1161 schweigen die Quellen bezüglich dieses edelfreien Pfullinger Adels.
Nicht einstimmig geklärt ist, ob die während des 13. Jahrhunderts mehrfach genannte ritterliche Familie „von Pfullingen“ derselben Dynastie entstammt. Denn als am 4. Mai 1216 in einer Urkunde Pfalzgraf Rudolfs von Tübingen mit „Waltherus et Marquardus de Phullingen“ zwei sich nach dem Ort nennende Adelige auftreten, werden diese ausdrücklich unter den Ministerialen aufgeführt. Im Laufe des 13. Jahrhunderts lassen sich mehrfach Vertreter dieser Familie fassen, die aller Wahrscheinlichkeit nach – vermutlich als Lehen derer von Greifenstein – stets die Obere Burg innehatten. Nach dem Niedergang der Familie um das Jahr 1338 scheint jenes Burglehen dann unmittelbar an die Greifensteiner zurückgefallen zu sein, in deren Besitz sich der gesamte südliche Teil Pfullingens um die Jahrhundertmitte befand.
Sowohl die Entstehungsgeschichte als auch das Gründungsdatum der Oberen Burg, welche erstmals um 1260 konkret nachweisbar ist, liegen weitgehend im Dunkeln. Im Jahr 1338 verfügte die Mechthild von Pfullingen, vermutlich die letzte ihres Geschlechts, über die Burg. Weitgehend unklar ist, ob die Anlage damals noch bewohnt war. Auch ob jene überhaupt noch als intakte Anlage vorhanden war und ob diese nicht bereits 1311 zusammen mit den Greifensteiner Burgen im Reichskrieg zerstört worden war, bleibt unklar. Allerspätestens dem Städtekrieg von 1388 dürfte sie schließlich endgültig zum Opfer gefallen sein, denn als sie im württembergischen Lagerbuch aus dem Jahr 1454 unter den ehemals greifensteinischen Gütern zu Pfullingen an erster Stelle genannt wird, ist die Rede ausdrücklich von dem burgstal (d.h. eine nicht mehr intakte Burg) ob der Louchmulin. Anhand der überlieferten Ortsbezeichnungen gelang es dem Pfullinger Archivar Wilhelm Kinkelin seinerzeit die ungefähre Lage der Oberen Burg einzugrenzen. Spätestens 1521 scheint der einstige Burgstall vollständig verschwunden gewesen zu sein, als man einen Garten an dessen Stelle angelegt hatte. Die letzten noch erkennbaren Spuren der Anlage scheinen schließlich um 1900 im Zuge von Baumaterialgewinnung getilgt worden zu sein.
Die Obere Burg scheint etwas oberhalb des Orts am Rand einer hoch aufragenden Tuffplatte gelegen zu haben. Das heute weitgehend überprägte Gelände zwischen Leonhardstraße und Mühlbach lässt hiervon kaum mehr Spuren erkennen. Allerdings sollen dort noch um 1900 große Mauersteine gefunden worden sein, die allesamt „weggeführt“ wurden. Eine Dokumentation der damals aufgedeckten Strukturen scheint bedauerlicherweise nicht stattgefunden zu haben. Um die Mitte des 20. Jahrhunderts war oberhalb der „Volkenmühle“ lediglich noch ein Deich beziehungsweise eine Vertiefung im Gelände zu erkennen, welche als Rest des ehemaligen, die Burg auf der Nordseite schützenden Burggrabens interpretiert wurden. Konkrete Angaben zum einstigen Erscheinungsbild der Burganlage lassen sich folglich kaum machen.
Michael Kienzle, Burg und Kulturlandschaft. Beobachtungen zum soziokulturellen und topographischen Umfeld mittelalterlicher Adelssitze im Bereich der Mittleren Schwäbischen Alb. Dissertation Tübingen (in Vorbereitung).
Wilhelm Kinkelin, Das Pfullinger Heimatbuch, Reutlingen 1956, S. 137 und 382.
Gottfried Maier, Pfullingen und seine Erlebnisse in 1500 Jahren, Pfullingen 1930, 43-44.
Günter Schmitt, Burgenführer Schwäbische Alb 4, Biberach 1991, S. 289.
Günter Schmitt, Kaiserberge, Adelssitze. Die Burgen, Schlösser, Festungen und Ruinen der Schwäbischen Alb, Biberach 2014, S. 81-82.
Alois Schneider, „Grafen“ im Pfullichgau, Herzog von Schwaben und Bischof Wolfgang von Regensburg. Aspekte der Geschichte Pfullingens im hohen Mittelalter, in: B. Scholkmann/B. Tuchen (Hrsg.), Die Martinskirche in Pfullingen. Archäologie und Baugeschichte. Materialhefte zur Archäologie 53, Stuttgart 1999, S. 111-116.