Schloss Grafeneck

Gomadingen, Landkreis Reutlingen

Grafeneck – das ist ein Ort, an dem sich Glanz und Schrecken deutscher Vergangenheit bündeln wie selten sonst. Seine wechselvolle Geschichte beginnt mit einer mittelalterlichen Burg, gebaut und bewohnt wohl von Gefolgsleuten der Grafen von Urach.

Herzog Christoph von Württemberg ließ hier Mitte des 16. Jahrhunderts ein Renaissance-Schloss errichten, ungefähr zeitgleich mit dem benachbarten Gestüt in Marbach. Barocker Glanz und spätabsolutistischer Luxus zogen mit Carl Eugen ein, der die Sommerwochen zusammen mit seinem mehrhundertköpfigen herzoglichen Hofstaat mit Vorliebe in diesem Jagd- und Lustschloss auf der Schwäbischen Alb verbrachte.

(Christine Dewald)

Eine ganze Palastanlage ließ der Landesfürst hier aus dem Boden stampfen, komplett mit Kapelle, Husarenkaserne und Opernhaus.

Grafenecks dunkle Jahre begannen 1939, als das Schloss – seit einem Jahrzehnt „Krüppelheim für behinderte Männer“ der Samariterstiftung – für „Zwecke des Reichs“ beschlagnahmt wurde. Mit einem bürokratischen Erlass begann die „Aktion T4“ genannte Ermordung von kranken und behinderten Menschen. Mindestens 10 654 Frauen und Männer vorwiegend aus Heimen im Südwesten starben im Jahr 1940 in der Gaskammer von Grafeneck.

Dem Erinnern und der Versöhnung ist Grafenecks Gegenwart gewidmet. Die Samariterstiftung bietet in den Wohnhäusern entlang der Schlossallee Menschen mit geistigen Behinderungen und chronischen psychischen Erkrankungen eine Heimat. Und die Gedenkstätte Grafeneck ist landesweit zu einem der bedeutendsten und meistbesuchten Orte der Erinnerung geworden. Das Schloss aus Herzog Christophs Zeit eröffnet dieser wichtigen Arbeit in Zukunft weitere Räume.

Der Landkreis Reutlingen. Amtliche Kreisbeschreibung, hrsg. von der Landesarchivdirektion Baden-Württemberg in Verbindung mit dem Landkreis Reutlingen, Band I, Sigmaringen 1997, S. 678-679.

Walter-Gerd Fleck: Grafeneck und Einsiedel: zwei Lustschlösser des Herzogs Carl Eugen von Württemberg, Stuttgart 1986.

Gunter Haug/Manfred Wassner, Im Tal der Burgen. Das Große Lautertal auf der Schwäbischen Alb, Leinfelden-Echterdingen 2000, 33-37.

Susanne C. Knittel, Unheimliche Geschichte: Grafeneck, Triest und die Politik der Holocaust-Erinnerung, Bielefeld 2018.

Christoph Ludwig, Ort des Lebens: 75 Jahre Samariterstift Grafeneck, Grafeneck 2005.

Franka Rößner, „Im Dienste der Schwachen“: die Samariterstiftung zwischen Zustimmung, Kompromiss und Protest 1930-1950, Nürtingen 2011.

Günter Schmitt, Burgenführer Schwäbische Alb 2, Biberach 1991, S. 133-142.

Günter Schmitt, Kaiserberge, Adelssitze. Die Burgen, Schlösser, Festungen und Ruinen der Schwäbischen Alb, Biberach 2014, S. 126-129.

Thomas Stöckle, Gedenkstätte Grafeneck: Dokumentationszentrum, Gomadingen 2007.

Thomas Stöckle, Grafeneck 1940, Tübingen 2020.

Website der Gedenkstätte