Schloss Pfullingen
Pfullingen, Landkreis Reutlingen
Höhe: 418 Meter
English Summary
Hinweis: Gebäude selbst nicht zugänglich, Außenbesichtigung möglich.
Von einer in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts erwähnten „Oberen Burg“, deren genauer Standort und Aussehen sich heute nicht mehr bestimmen lassen, wird auf die Existenz auch einer „Unteren Burg“ geschlossen. Diese gegen Ende des 14. Jahrhunderts urkundlich erwähnte „Untere Burg“ war Sitz des bedeutendsten Pfullinger Ortsadelsgeschlechts der Remp oder Rempen und Vorgängerbau des heutigen Schlosses.
(Stefan Spiller, Stadtarchiv Pfullingen)
Als letzter Repräsentant des Ortsadels der Remp verkaufte Caspar Remp 1487 seinen Teil an Pfullingen einschließlich des Schlosses (das heißt der „Unteren Burg“) an Graf Eberhard V. (seit 1495 Herzog Eberhard I.) von Württemberg, behielt sich jedoch ein lebenslanges Wohn- und Nutzungsrecht vor. Nach seinem Tod 1498 wurde Württemberg hier zum dominierenden Herrschaftsfaktor. Die württembergische Hirschstange als Herrschaftssymbol ist neben dem „Pfulben“ bereits Bestandteil des ersten überlieferten Abdrucks eines Pfullinger Gerichtssiegels aus dem Jahr 1502.
Während der habsburgischen Herrschaft über Württemberg nach der Vertreibung Herzog Ulrichs war der kaiserliche Rat Scheer von Schwarzenburg in den Jahren 1532 – 1534 vorübergehend mit dem Pfullinger Schloss belehnt.
Als Herzog Ulrich 1540 beim Schloss einen Tiergarten neu anlegen ließ, diente dieses eventuell bereits als herrschaftliche Jagdresidenz.
Die Regierungszeit seines Sohnes Herzog Christoph (1550 – 1568), in der zahlreiche Residenzbauten entstanden, bedeutete auch für den Pfullinger Herrschaftssitz eine baugeschichtliche Zäsur: Unter seinem Baumeister Aberlin Tretsch ließ der Herzog in den Jahren 1560 – 1565 anstelle der ehemaligen Rempenburg eine rechteckige Vierflügelanlage im Renaissancestil errichten.
Eine zeitgenössische Inventarliste nennt unter anderem Tafelstube, Fürsten-, Jungfrauen- (das heißt Prinzessinnen-) und Kanzleikammer als Räumlichkeiten.
Mit der Errichtung des Schlosses erfolgte wohl auch der Bau der heute noch bestehenden Rundbogenbrücke über die Echaz.
Während der Abwesenheit der das Schloss vor allem als Jagdresidenz nutzenden Herrschaft bezogen dort lokale Amtsträger wie Schultheiß und Keller Wohnung.
Mit dem Schloss war die Frongerechtigkeit des Brennholztransports aus den herrschaftlichen Waldungen zum Schloss verbunden, die von Pfullingen und den umliegenden Ortschaften zu leisten war. Nach dem vollständigen Abbruch des zerstörten Schlosses Achalm wurden zusätzlich dessen Frongerechtsame, die die Beifuhr von Baumaterialien betrafen, 1658/59 auf das Pfullinger Schloss übertragen.
Vor dem Hintergrund sich zuspitzender politisch-konfessioneller Spannungen war das Pfullinger Schloss im Jahr 1600 Schauplatz von Verhandlungen zwischen Herzog Friedrich I. und Kurfürst Friedrich IV. von der Pfalz über die Bildung einer protestantischen Union. Den Ausbruch des 30jährigen Krieges konnten auch solche Bündnisbemühungen nicht verhindern. Als sich nach der protestantischen Niederlage in der Schlacht bei Nördlingen 1634 die Machtverhältnisse zugunsten Habsburgs verschoben, beanspruchte Erzherzogin Claudia von Österreich unter anderem die sogenannte „Pfandschaft Achalm“ und zielte damit auf eine Erweiterung der vorderösterreichischen Territorien ab. Pfullingen wurde zum Herrschaftsmittelpunkt der Pfandschaft und das Schloss zum Amtssitz, in das Ende 1637 mit Johann Werner Klumpp der erste erzherzogliche Verwalter einzog.
Mangels ausreichender militärischer Absicherung erwies sich dieser Verwaltungssitz jedoch als höchst unsicher. 1638 etwa war auch das Schloss Ziel feindlicher Überfälle und Plünderungen, denen ab 1640 mehrfach Angriffe durch Truppen des Kommandanten der Festung Hohentwiel, Konrad Widerholt, folgten.
Erst mit dem Westfälischen Frieden 1648 konnte Württemberg das Gebiet der „Pfandschaft Achalm“ wieder in Besitz nehmen.
In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts nutzte die fürstliche Familie das Schloss verstärkt zu Wohnzwecken. Zur standesgemäßen Unterbringung seiner zahlreichen Nachkommen konnte Herzog Eberhard III. auf seine Residenzen zurückgreifen. Sein Sohn Ludwig (1661 – 1698) etwa nahm das Schloss 1689 in Besitz. Über den Verbleib seiner hier befindlichen umfangreichen Bibliothek entzündete sich nach seinem Tod ein längerer Rechtsstreit. Sie wurde schließlich zwischen den Universitäten Tübingen und Halle geteilt.
Den neuen Ansprüchen an barocke höfische Prachtentfaltung scheint der Pfullinger Herrschaftssitz nicht mehr genügt zu haben. Nach der Wende zum 18. Jahrhundert verlor die herrschaftliche Familie das Interesse an ihrem Pfullinger Landschlösschen.
Ansicht Pfullingens mit dem Schloss, Mitte des 17. Jahrhunderts. Vorlage der
Federzeichnung eines ungenannten Künstlers: Staatsgalerie Stuttgart, Graphische Sammlung
Nachdem Pfullingen 1699 mit seinen fünf Amtsorten Ober- und Unterhausen, Honau, Kleinengstingen und Holzelfingen vom Oberamt Urach „separiert“ und zu Stadt und eigenem Oberamt erklärt worden war, erhielt das Schloss als Oberamtssitz eine neue Funktion. 1806 ging das aufgelöste Pfullinger im neuen Oberamt Reutlingen auf. Die Räumlichkeiten der zu diesem Zeitpunkt noch vollkommen intakten Schlossanlage dienten in der Folge als Beamtenwohnungen.
Ende der 1820er Jahre wurde das Schlossanwesen, der Fruchtkasten mit Beschälplatte und die Novalzehntscheuer blieben zunächst ausgenommen, für 8.800 Gulden in private Hände verkauft. Die in den nächsten Jahren bei steigenden Verkaufspreisen in rascher Folge wechselnden Eigentümer deuten darauf hin, dass das Schlossanwesen in dieser Zeit wohl mehr als Spekulationsobjekt diente (in der Oberamtsbeschreibung von 1893 heißt es dazu wenig schmeichelhaft, das Anwesen sei „von wechselnden Besitzern verwahrlost“ worden).
Der Kaufmann Joachim Schmidt, einer der neuen Eigentümer, ließ dann 1835/36 den nördlichen Flügel des Schlosses abbrechen.
Die noch vollkommen intakte Schlossanlage auf einem
Ausschnitt der Flurkarte S.O. VI 12 aus dem Jahr 1820
Das Schlossanwesen auf einem Ausschnitt der Flurkarte S.O. VI 12 aus dem Jahr 1847.
Dem Grundriss nach handelte sich beim nördlichen Gebäudeteil wohl nicht mehr um den ursprünglichen Schlossflügel, der Mitte der 1830er Jahre abgebrochen wurde
Der verbliebene Teil des Schlosses Mitte des 19. Jahrhunderts nach einem Gemälde aus dem Besitz von Dr. Otto Flamm, Direktor der Heilanstalt Pfullingen
Den Grundstein für die weitere Entwicklung des Schlosses legte im Jahr 1845 der Eninger Wundarzt Friedrich Flamm, der hier ein „Asyl für Geisteskranke“ einrichtete. Nachdem er das Anwesen zunächst gepachtet hatte, kaufte er es 1850 von der Witwe des erwähnten Kaufmanns Joachim Schmidt. Doch erst sein Sohn Dr. Otto Flamm baute nach dem Tod des Vaters die sich mit nur wenigen Pfleglingen „an der Grenze des Verfalls“ bewegende Anstalt zur bedeutenden Heil- und Pflegeanstalt für psychisch Kranke aus. Ende des 19. Jahrhunderts hatte sich die Anstalt mit dem Schlossgebäude im Zentrum zu einer nahezu autarken Siedlung innerhalb Pfullingens mit einer eigenen Kirche, Werkstätten, Bäckerei, Metzgerei, Kegelbahn, Quellwasserversorgung sowie Park- und Gartenanlagen entwickelt. Die Zahl der Patienten erreichte mit annähernd 600 in dieser Zeit ihren Höchststand. Die im Zuge des 1. Weltkrieges eintretende Verschlechterung der finanziellen Situation führte 1922 schließlich zur Aufgabe des Anstaltsbetriebes.
Gesamtansicht der Heil- und Pflegeanstalt Pfullingen, um 1890 (StAPf, N/ Flamm, v. Nr. 25)
Situationsplan der Heil- und Pflegeanstalt Pfullingen, um 1890 (StAPf, N/ Flamm, v. Nr. 28)
Über eine neu gegründete Schuhfabrik, an der für einige Zeit auch die letzten Eigentümer der Anstalt, Alfred Flamm und seine Schwester Irene Kurz, beteiligt waren, ging das Schlossanwesen an die Lederfabrik J. J. Schlayer über. Leitenden Angestellten der Firma diente das Schlossgebäude als Wohnraum.
Während des 2. Weltkrieges waren auf dem Schlossareal bei der Firma Schlayer beschäftigte Zwangsarbeiter vor allem aus Polen und Russland untergebracht. Polen bildeten auch die größte Gruppe des nach Kriegsende und Beschlagnahmung durch die französische Besatzungsmacht hier eingerichteten „DP- Lagers“ („Displaced Person“, später mit eigenem Rechtsstatus als „Heimatlose Ausländer“ bezeichnet). Das im Sommer 1946 aus rund 450 Personen bestehende Lager wurde zunächst von internationalen Hilfsorganisationen betreut und ging 1950 in deutsche Verwaltung über. Die hohe Belegungsdichte und die damit einhergehenden hygienischen und sozialen Probleme führten immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen der Militärregierung, der Firma Schlayer und der Stadtverwaltung, die das Lager schnellstmöglich auflösen wollte.
1954 erwarb die Stadt Pfullingen das Schlossareal zum Preis von 850.000 DM von der Firma Schlayer. Nachdem das Lager bis zum 1. April 1955 vollständig aufgelöst war, konnte die Stadt über das Areal verfügen und hier dringend benötigten Wohnraum („Einfachstwohnungen“) schaffen. Im Schlossgebäude selbst wurden neben Wohnungen ein Kindergarten und mehrere Zimmer für die Nutzung durch Vereine eingerichtet.
Ab Mitte der 1960er Jahre begannen auf dem Schlossareal die Abbrucharbeiten für den Bau der neuen Schloss-Schule. Dem 1969 eingeweihten Schulzentrum mussten die noch verbliebenen Bauten der ehemaligen Heilanstalt einschließlich des mehrere Jahrhunderte alten Marstalles/Kellereifruchtkastens weichen (in der Zeit der Heil- und Pflegeanstalt das „Haus Griesinger“, seine große Giebeluhr konnte durch private Initiative „gerettet“ werden und befindet sich heute im stadtgeschichtlichen Museum). Über 70 Mietparteien mussten im Zuge dieser Baumaßnahme umgesiedelt werden. Die früheren Gartenanlagen der Anstalt durchschneidet seit dieser Zeit die neu geschaffene Römerstraße/L 382.
Neben seiner Funktion als Domizil verschiedener Vereine sind die Hauptnutzer des Schlossgebäudes heute ein städtischer Kindergarten und die Pfullinger Musikschule.
Das Schlossgebäude im August 2013
In unmittelbarer Nähe des Zusammenflusses von Echaz und Eierbach liegt echazabwärts am Westufer des Flusses das markante dreigeschossige Bruchsteingebäude des Pfullinger Schlosses. Es handelt sich um den verbliebenen Teil einer größeren Anlage, die Herzog Christoph in den Jahren 1560 – 1565 durch seinen Baumeister Aberlin Tretsch an Stelle der früheren „Rempenburg“ errichten ließ. Der Platz lag strategisch günstig an der Echazfurt, die als Übergang eines Verbindungsweges zwischen Erms- und Steinlachtal eine wichtige Rolle gespielt haben dürfte.
Tretschs Schlossbau war eine grabenbewehrte Vierflügelanlage im Renaissancestil mit einem rechteckigen Innenhof. Den imposanten Eindruck des Bauwerks bewirken vor allem die für Tretsch charakteristischen Ecktürmchen, bei denen es sich jedoch nicht um „echte“ Turmkonstruktionen sondern lediglich Eck-Zwerchhäuser handelt. Zur inneren Symmetrie trugen auch die ursprünglich zwei, im Innenhof genau gegenüberliegenden Wendeltreppentürmchen bei. Westlich des Schlosshauptgebäudes befanden sich von einem Mauergürtel umschlossen weitere Wirtschaftsgebäude. Die vier äußersten Ecken der Ummauerung waren jeweils mit einem kleinen Rondell versehen. Im Schlosshof vor dem westlichen Brückenzugang des Hauptgebäudes befand sich bis Mitte des 19. Jahrhunderts ein 1570 fertiggestellter Brunnen des Bildhauers Leonhard Baumhauer.
Bis ins 19. Jahrhundert blieb die Schlossanlage weitestgehend intakt. Mitte der 1830er Jahre ließ dann einer der ersten privaten Schlosseigentümer den Nordflügel des Gebäudes abbrechen. Bei dem in der Flurkarte von 1847 in diesem Bereich als Ökonomiegebäude dargestellten Bauwerk dürfte es sich nach Grundriss und deutlich gemindertem Brandversicherungsanschlag nicht mehr um den ursprünglichen Schlossflügel gehandelt haben. Auf dem Gemälde des Südflügels aus der Mitte der 19. Jahrhunderts ist dieser Bau nicht mehr zu sehen.
In der Zeit der Flamm’schen Heil- und Pflegeanstalt, die von 1845 – 1922 auf dem Schlossareal betrieben wurde, entstanden zahlreiche Neu- und Umbauten. Aus dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts stammen etwa der balkonartige Anbau auf der Südseite des erhaltenen Schlossflügels sowie der an das runde Treppentürmchen auf der Nordseite angrenzende Turmbau, der ursprünglich lediglich dem Einbau einer Toilettenanlage diente.
Im Jahr 1929 erfolgte die Eintragung des Schlosses in das Verzeichnis der Baudenkmale.
Die zum Schloss gehörenden Bauten bzw. die in der Zeit der Heilanstalt neu entstandenen Gebäude wurden für den Neubau eines Schulzentrums und Straßenbaumaßnahmen ab Mitte der 1960er Jahre abgebrochen.
An die Funktion des Schlosses als herrschaftliche Residenz erinnern heute noch die in mehreren Räumen erhaltenen repräsentativen Kassettendecken.
Den gewachsenen Anforderungen des Brandschutzes trägt seit mehreren Jahren eine provisorische Feuertreppe am Ostteil des Gebäudes Rechnung.
Beschreibung des Oberamts Reutlingen, herausgegeben von Johann Daniel Georg Memminger, Stuttgart und Tübingen 1824, unveränderter Nachdruck, Magstadt 1971, S. 116-125.
Beschreibung des Oberamts Reutlingen, herausgegeben vom K. Statistischen Landesamt, Stuttgart 1893, 2. Teil (Ortsbeschreibung), S. 224-262.
Dietmar Böhringer, Das Schloß, in: Pfullingen einst und jetzt, herausgegeben von Herrmann Fischer, Brigitte Neske, Hermann Taigel, Pfullingen 1982, S. 139-156.
Eberhard Fritz, Die „Pfandschaft Achalm“ im Besitz der Tiroler Linie des Hauses Habsburg. Expansionsbestrebungen in Vorderösterreich während des Dreißigjährigen Krieges, in: Reutlinger Geschichtsblätter NF 49 (2010), S. 239-348.
Wilhelm Kinkelin, Das Pfullinger Heimatbuch, vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage des Werkes von 1937, Reutlingen 1956.
Der Landkreis Reutlingen, Bd. 2, herausgegeben von der Landesarchivdirektion Baden-Württemberg in Verbindung mit dem Landkreis Reutlingen, Sigmaringen 1997 (=Kreisbeschreibungen des Landes Baden-Württemberg), S. 201-246.
Gottfried Maier, Geschichtlicher Anhang, in: Geh. Hofrat Dr. Flamm’sche Privat-Heilanstalt für psychisch Kranke im Schloß Pfullingen, herausgegeben von Theodor Kölle, Tübingen 1900, S. 43-52.
Gottfried Maier, Pfullingen und seine Erlebnisse in 1500 Jahren, Pfullingen 1930.
Hans-Martin Maurer, Die landesherrliche Burg in Wirtemberg im 15. und 16. Jahrhundert. Studien zu den landesherrlich-eigenen Burgen, Schlössern und Festungen, Stuttgart 1958 (=Veröffentlichungen der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg, Reihe B, Forschungen, 1. Bd.).
Ulrich Mohl, Schloss Pfullingen in Vergangenheit und Gegenwart, Pfullingen 2003.
Harald Schneider, Das Lager Schloss in Pfullingen. Lager für heimatlose Ausländer 1946 – 1955 (unveröffentlichtes Typoskript), Pfullingen 1991.
Theodor Schön, Ein bisher unbekannter Schloßherr von Pfullingen [Scheer von Schwarzenburg], in: Reutlinger Geschichtsblätter 4 (1893), S. 43/44.
Vierter Anstaltsbericht der Heil- und Pflegeanstalt Pfullingen für psychisch Kranke, herausgeben von Ferdinand Mertz, Tübingen 1893.
(Stefan Spiller, Stadtarchiv Pfullingen)